Hiob 9
Textbibel 1899
1Hiob antwortete und sprach:

2Ja wohl, ich weiß, daß es so ist, - wie könnte der Mensch je Recht behalten gegen Gott!

3Wenn er geruhte, mit ihm zu streiten, - nicht auf eins von Tausend könnt' er ihm erwidern!

4Der weisen Sinnes und von gewaltiger Kraft ist - wer hat ihm je getrotzt und blieb unversehrt?

5Er, der unvermerkt Berge versetzt, indem er sie umstürzt in seinem Grimm;

6der die Erde aufbeben macht von ihrer Stätte, daß ihre Säulen ins Wanken geraten,

7der der Sonne verbietet, aufzustrahlen, und die Sterne unter Siegel legt;

8der den Himmel ausspannt allein und einher schreitet auf den Höhen des Meers,

9der den Bären schuf, den Orion und die Pleiaden und die Kammern des Südens;

10der große Dinge thut, die unerforschlich, und Wunder, die nicht aufzuzählen sind.

11Fürwahr, er zieht an mir vorüber, aber ich sehe ihn nicht; er schwebt dahin, aber ich gewahre ihn nicht.

12Rafft er hinweg, wer will ihm wehren? Wer darf zu ihm sprechen: "Was thust du da?"

13Gott wehrt nicht seinem Zorn - krümmten sich doch Rahabs Helfer unter ihm! -

14geschweige, daß ich ihm erwidern dürfte, ihm gegenüber meine Worte wählen könnte,

15der ich, auch wenn ich Recht habe, keine Antwort bekomme, zu meinem Widerpart um Gnade flehen muß.

16Wenn ich ihn riefe und er gäbe mir Antwort, so würde ich's doch nicht glauben, daß er mich anhören werde.

17Vielmehr, im Sturmwind würde er mich anschnauben und meine Wunden ohne Ursach' mehren,

18würde mich nimmer aufatmen lassen, sondern mich sättigen mit bitterem Weh.

19Gilt's Kraft des Starken, so ist er da, aber gilt's den Rechtsweg - "wer darf mich vorfordern?"

20Wär' ich im Recht - mein Mund würde mich verdammen, wäre ich unschuldig - er würde mich zum Betrüger machen!

21Unschuldig bin ich - was kümmert mich mein Leben! ich verachte mein Dasein!

22Eins ist es, drum spreche ich's aus: er bringt den Frommen wie den Frevler um!

23Wenn die Geißel jählings tötet, so lacht er über die Verzweiflung Unschuldiger.

24Die Erde ist in der Frevler Hand gegeben, die Augen ihrer Richter hält er zu: wenn er nicht - wer denn sonst?

25und meine Tage eilten schneller dahin, als ein Läufer, entflohen, ohne Glück geschaut zu haben,

26fuhren dahin wie Binsenkähne, wie ein Adler, der auf Beute stößt.

27Wenn ich denke: Ich will meinen Jammer vergessen, will meinen Unmut lassen und heiter blicken,

28so schaudre ich vor allen meinen Schmerzen: ich weiß, daß du mich nicht lossprechen wirst.

29Ich, ich soll schuldig sein, wozu mich da noch vergeblich abmühen?

30Wenn ich mich auch mit Schnee wüsche und meine Hände mit Lauge reinigte,

31so würdest du mich in den Pfuhl eintauchen, daß meine Kleider vor mir Abscheu hätten.

32Denn er ist nicht ein Mensch wie ich, daß ich ihm Antwort geben, daß wir miteinander vor Gericht treten könnten.

33Kein Schiedsmann ist zwischen uns, der auf uns beide seine Hand legen könnte.

34Er nehme seinen Stock von mir hinweg und lasse seinen Schrecken mich nicht ängstigen,

35so will ich reden, ohne ihn zu fürchten, denn so steht es mit meinem Innern nicht!

Textbibel des Alten und Neuen Testaments, Emil Kautzsch, Karl Heinrich Weizäcker - 1899

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