Hiob 19
Textbibel 1899
1Hiob antwortete und sprach:

2Wie lange wollt ihr mich kränken und mich mit Reden zermalmen?

3Schon zehnmal nun beschimpftet ihr mich und schämt euch nicht, mich zu mißhandeln!

4Und habe ich auch wirklich mich vergangen, so bleibt doch mein Fehltritt mir allein bewußt.

5Wollt ihr euch wirklich über mich erheben, so bringt mir den Beweis für meine Schande!

6Erkennet doch, daß Gott mich gebeugt und mich mit seinem Netz umzingelt hat.

7Fürwahr, ich schreie "Gewalt!" und finde keine Erhörung; ich rufe um Hilfe, doch da giebt's kein Recht.

8Meinen Weg hat er vermauert, daß ich nicht hinüber kann, und über meine Pfade breitet er Finsternis.

9Meiner Ehre hat er mich entkleidet und mir die Krone vom Haupte genommen.

10Er wirft mich nieder ringsum, daß ich dahinfahre, und reißt gleich einem Baume meine Hoffnung aus.

11Er läßt seinen Zorn wider mich entbrennen und achtet mich seinen Feinden gleich.

12Allzumal rücken seine Scharen heran, schütten ihren Weg wider mich auf und lagern sich rings um mein Zelt.

13Meine Brüder hat er von mir entfernt, und meine Freunde sind mir ganz entfremdet.

14Meine Verwandten bleiben aus, und meine Bekannten haben mich vergessen.

15Die Genossen meines Hauses und meine Mägde achten mich für einen Fremden, zum Ausländer ward ich in ihren Augen.

16Rufe ich meinen Sklaven, so antwortet er nicht, mit meinem Munde muß ich zu ihm flehen.

17Mein Atem ist zuwider meinem Weibe, und mein Gestank meinen leiblichen Brüdern.

18Selbst die Kleinen verachten mich; will ich aufstehn, verspotten sie mich.

19Alle meine Vertrauten verabscheuen mich, und die ich liebte, haben sich gegen mich gekehrt.

20An meiner Haut und meinem Fleisch klebt mein Gebein, und nur mit meiner Zähne Haut bin ich entronnen.

21Erbarmt euch mein, erbarmt euch mein, ihr meine Freunde, denn Gottes Hand hat mich getroffen!

22Warum verfolgt ihr mich wie Gott und werdet nicht satt, mich zu zerfleischen?

23Ach, daß doch meine Worte aufgeschrieben, auf eine Tafel eingezeichnet würden,

24mit Eisengriffel und Blei, für ewig in den Fels gehauen!

25Ich aber weiß, daß mein Erlöser lebt, und als letzter wird er auf dem Staube sich erheben.

26Und nachdem meine Haut also zerschlagen ist, und ledig meines Fleisches werde ich Gott schauen!

27Ich werde ihn schauen mir zum Heil; ja, meine Augen sehen ihn, und nicht als Gegner: mein Herz verzehrt sich in meiner Brust!

28Wenn ihr nun sagt: "Wie wollen wir ihn verfolgen!" und in mir sei der Sache Grund zu finden,

29so fürchtet euch vor dem Schwert - denn das sind Schwertesverschuldungen! - damit ihr erkennet, daß es ein Gericht giebt.

Textbibel des Alten und Neuen Testaments, Emil Kautzsch, Karl Heinrich Weizäcker - 1899

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